Digitale Gewalt: So schütze ich mich als Politikerin

Digitale Gewalt betrifft Frauen in der Politik besonders häufig. Doch wie kann man sich als Betroffene davor schützen und welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? Unser Fachforum „Hass, Hetze, Antifeminismus – Wie schütze ich mich als Politikerin?“ mit einem Fach-Input von HateAid gab dazu Antworten.

Digitale Gewalt existiert in verschiedenen Formen und Facetten. Für Betroffene ist daher nicht immer eindeutig einzuordnen, ob es sich dabei auch um strafrechtlich relevante Vorfälle handelt und wie das weitere Vorgehen aussehen kann. Fakt ist jedoch, dass digitale Gewalt die gleichen Konsequenzen für Betroffene haben kann, wie Gewalt abseits der Bildschirme: Angst, psychische Belastung, Selbstzweifel und nicht selten Rückzug aus dem öffentlichen Leben.

Laut des Leitfadens „Hass im Netz ist nicht Teil des Jobs“ von HateAid berichtet über die Hälfte aller Kommunalpolitiker*innen, bereits digitale Gewalt erlebt zu haben. Frauen, queere Menschen und Personen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, erleben besonders häufig frauenfeindliche und sexistische Angriffe im Netz.

Auswirkungen von Anfeindungen im Netz

Die Folgen von Hass im Netz sind gravierend, im politischen Engagement wie im privaten Umfeld: Insbesondere die Verbreitung falscher Behauptungen und täuschend echter, aber mit künstlicher Intelligenz gefälschter Bilder, Videos oder Audiodateien (sogenannte Deepfakes) untergraben bzw. verfälschen die politische Position. Darüber hinaus sind sie dazu gedacht, aufzuhetzen und die Person zu diffamieren. Psychische Konsequenzen für Betroffene können Stress, Selbstzweifel, eine geringere Belastbarkeit oder sogar Traumatisierungen sein. Häufig haben Betroffene damit noch weit über den eigentlichen Angriff hinaus zu kämpfen. Schlussendlich kann dies zum Rückzug aus der Politik oder einem anderen gesellschaftlichen Engagement führen.

Durch den Rückzug aus dem öffentlichen Raum kann es zu Diskursverschiebungen kommen, weil sich betroffene Menschen vorsorglich selbst zensieren oder nicht mehr äußern, um nicht zur Zielscheibe von Angriffen zu werden.[1] Dieses sogenannte Silencing (engl.: „zum Schweigen bringen“) soll darüber hinaus ohnehin marginalisierte Gruppen von der politischen Teilhabe ausschließen. So findet eine fortschreitende Einengung des demokratischen politischen Diskurses statt, die die Gesellschaft als Ganzes betrifft.

Die allgegenwärtige Bedrohung, Opfer digitaler Gewalt zu werden, hat außerdem eine abschreckende Wirkung auf potentiell an Politik interessierte Frauen. Gewalt gegen Frauen wird häufig sexualisiert angewendet, bspw. durch pornografische Deepfakes oder ungefragtes Verbreiten oder Erhalten von (gefälschten) Nacktbildern. Außerdem kann digitale Gewalt in die analoge Umwelt überschwappen, z.B. weil man sich durch Bedrohung und Stalking im Netz (Cyberstalking) oder das öffentliche Verbreiten der Privatadresse auch in den eigenen vier Wänden nicht mehr sicher fühlt.

An wen können sich Betroffene wenden?

Digitale Gewalt erscheint in verschiedenen Formen, z.B. als Beleidigung, üble Nachrede oder auch Drohungen. Aber auch das gezielte Verbreiten von Falschinformationen über eine Person oder das Veröffentlichen von persönlichen Daten, sogenanntes „Doxxing“, zählen dazu.

Nicht immer ist für Betroffene erkennbar, ob Gewalt im Netz auch eine Straftat darstellt. Darüber hinaus wandeln sich Methoden und Technologien ständig, die Täter*innen handeln vermeidlich anonym oder es ist nicht ersichtlich, wer sich hinter einem Nutzer*innennamen verbirgt. Das Internet ist aber dennoch kein rechtsfreier Rahmen, was bedeutet, dass Straftaten erkannt und auch juristisch verfolgt werden können. Damit kann man sich als betroffene Person zur Wehr setzen und bspw. die Beseitigung von Handlungen, eine Entschädigung oder sogar eine Strafe für die Täter*innen einfordern.

Grundsätzlich gilt: Bedrohung, Erpressung, Nötigung, Beleidigung, üble Nachrede bzw. Verleumdung oder Volksverhetzung sind online genauso strafbar wie offline. Welche Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sein müssen und um welche Straftat es sich letztlich handelt, können Betroffene in individuellen Beratungsangeboten klären lassen. Die Organisation HateAid leistet hierzu kostenlose Beratung sowie rechtliche Unterstützung. Auch die „Starke Stelle“ kann voraussichtlich ab Herbst 2024 als Verweisberatung bei Online- und Offline-Gewalt gegen Kommunalpolitiker*innen weiterhelfen.

Wie können sich Betroffene schützen?

  • Krisenvorbereitung: Es ist hilfreich, sich bereits vor einer Krisensituation mögliche Handlungsmöglichkeiten und Szenarien zu überlegen und zu planen: Was kann im schlimmsten Fall passieren? Wer kann im Notfall unterstützen (z.B. indem eine andere Person den Account übernimmt)? Wohin können sich Betroffene wenden oder sich beraten lassen?

  • IT Sicherheit: Hacking ist eine gängige Form von Angriffen im Netz. Über den Identity Leak Checker des Hasso-Plattner-Instituts kann erfragt werden, ob und welche Daten ggf. schon durch Datenlecks beeinträchtigt, abgegriffen oder verbreitet wurden. Hilfreich zum Schutz sind Maßnahmen wie die Zwei-Faktor-Authentifizierung, regelmäßige Passwort-Änderungen oder die Früherkennung von Phishing (gezielten Emails zum Abgreifen von persönlichen Daten). Tipps zur IT-Sicherheit finden Sie beispielsweise auf der Seite von HateAid: https://hateaid.org/category/tipps-tricks/.

  • Datenschutz: Durch eine Melderegisterauskunftssperre können Betroffene persönliche Daten, die öffentlich über sie einsehbar sind, minimieren bzw. schützen. So können beispielsweise sensible Daten gelöscht werden, wenn diese nicht mehr zugänglich sein müssen, etwa nach Beendigung einer Legislaturperiode.

  • Bedachterer Umgang mit Daten: Bei der eigenen Veröffentlichung von Daten z.B. durch Posts und Bilder ist besondere Vorsicht geboten. Selbst der Hintergrund eines unbedacht geposteten Bildes oder einer Story/Statusmitteilung kann ungewollt Informationen, wie beispielsweise den eigenen Standort oder die Namen Dritter, preisgeben.

  • Kommunikation in den sozialen Medien: Gerade einmal 5% aller Nutzer*innen von sozialen Medien beteiligen sich häufig/regelmäßig aktiv an Online-Diskursen. Der Großteil der Nutzer*innen zählt zu den sogenannten „stillen Mitlesenden“. ‚Laute‘ Stimmen repräsentieren daher nicht zwingend den politischen Konsens oder geben gar die unterschiedlichen Meinungen in der Bevölkerung wieder. Beiträge oder Kommentare sollten daher insbesondere auch an die stillen Mitlesenden gerichtet werden und demokratische Minderheitsmeinungen bestärken bzw. schützen, statt zwingend auf populistische oder extreme Aussagen einzugehen. Es ist daher ratsam, im Vorhinein die eigenen Werte zu bestimmen, um sich klar positionieren und abgrenzen zu können.

 

Was kann man tun, wenn man von digitaler Gewalt betroffen ist?

  • Beratung von Expert*innen erhalten: Häufig können Betroffene die Situation schwer einordnen oder wissen nicht, welche konkreten Handlungsmöglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen. Anlaufstellen wie HateAid, mobile Beratungen und die Starke Stelle bieten kostenfreie Beratungsangebote bis hin zu juristischer Begleitung. HateAid finanziert in geeigneten Fällen darüber hinaus die Prozesskosten.

  • Darüber reden: Betroffenheit löst häufig Scham oder sogar ein Suchen der Schuld bei sich selbst aus. Die gesellschaftliche Tabuisierung, insbesondere in der Politik und bei Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen, ist groß. Auch wenn der erste Impuls häufig das Verschweigen oder Ignorieren ist, ist es wichtig und für viele hilfreich, offen darüber zu kommunizieren. Nur so kann das Umfeld Betroffene stärken, beraten und unterstützen. Hasskommentare gegen Frauen, queere Menschen und Personen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, sind zudem in den meisten Fällen eher systematische Einschüchterungsversuche, als Angriffe aufgrund persönlicher Einstellungen oder Handlungen.

  • Krisenplan befolgen: Krisen laufen meist nach einem gewissen Schema mit Anfangsphase, Höhepunkt und einem Endpunkt ab. Obwohl die Dauer dieser Phasen unterschiedlich lange und intensiv ausfallen kann, gibt es für jede Phase erprobte Handlungsmöglichkeiten, wie der Krisenplan „Engagiert trotz Hass“ von HateAid aufzeigt.

  • Kommunikation: Betroffene können sich dafür entscheiden, in Absprache mit ihren Berater*innen oder ihrem Netzwerk, die Vorfälle nach außen zu kommunizieren, beispielsweise durch ein Pressestatement. Solidarität mit Betroffenen zu zeigen und sich ggf. auch gemeinsam (z.B. als Fraktion oder Verein) zu positionieren, zeigt den Täter*innen außerdem, dass die Betroffenen nicht alleine sind bzw. wie beabsichtigt zum Schweigen gebracht wurden.

  • Dokumentieren: Um (juristisch) gegen den/die Täter*in(nen) vorgehen zu können, sollten Kommentare, Nachrichten, Fotos usw. aufgezeichnet werden, um als Beweise angeführt werden zu können. Wie genau das geht, kann auf der Seite von HateAid Schritt für Schritt nachgelesen werden: https://hateaid.org/rechtssichere-screenshots/

  • Rechtlich dagegen vorgehen (lassen): Expert*innen (z.B. kostenfrei bei HateAid) können für Betroffene einschätzen, ob der Angriff strafrechtlich relevant ist. Bei einer Anzeige ist die Staatsgewalt verpflichtet, gegen mutmaßliche Täter*innen zu ermitteln. Zudem kann damit die Unterlassung oder das Löschen von Inhalten erzwungen werden. HateAid bietet eine eigene App „MeldeHelden“ an, aber auch eine Beratung per Meldeformular bzw. per Email ist möglich.

© Mit freundlicher Genehmigung von HateAid aus dem Vortrag “Hass, Hetze, Antifeminismus - Wie schütze ich mich als Politikerin?” vom 3. Juni 2024.

Warum ist es wichtig, digitale Gewalt zur Anzeige zu bringen?

Digitale Gewalt ist nicht nur ein angsteinflößendes, sondern häufig auch ein schambehaftetes Thema, weswegen viele Betroffene nicht offen damit umgehen und Vorfälle nicht zur Anzeige bringen. Zudem werden digitale Übergriffe häufig noch als ‚Privatproblem‘ statt als systematische Einschüchterung und Problem für die Gesellschaft als Ganzes wahrgenommen. Daher ist es umso wichtiger, dass digitale Gewalt enttabuisiert und dokumentiert sowie zur Anzeige gebracht wird.

© Mit freundlicher Genehmigung von HateAid aus dem Vortrag “Hass, Hetze, Antifeminismus - Wie schütze ich mich als Politikerin?” vom 3. Juni 2024.

Es ist darüber hinaus wichtig, Täter*innen Grenzen aufzuzeigen und Recht und Schutz zugesichert zu bekommen. Gerade digitale Gewalt ist für Betroffene oft schwer zu fassen oder in ihrem Strafgehalt richtig einzuschätzen. Daher sind vielen Betroffenen mögliche Handlungsoptionen (noch) nicht bekannt und es findet stattdessen ein Rückzug aus der digitalen Öffentlichkeit und Partizipation statt.

Tatsächlich haben juristische Vorgehensweisen eine hohe Erfolgsrate: Bis zu 90% aller gerichtlich und 60% aller außergerichtlich geregelten Fälle werden zugunsten der betroffenen Person entschieden. Zudem sorgen (öffentliche) Strafverfahren für eine gesellschaftliche Sensibilisierung und wirken dem nach wie vor weitverbreiteten Narrativ des Internets als „rechtsfreier Raum“ entgegen. Zivilverfahren hingegen können den Betroffenen helfen, eine Entschädigung bzw. Form der Wiedergutmachung zu erlangen.



[1] Weitere Informationen dazu bietet die Studie „Lauter Hass, leiser Rückzug“ des Kompetenznetzwerkes gegen Hass im Netz: https://kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de/lauter-hass-leiser-rueckzug/


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Veranstaltung: Hass, Hetze, Antifeminismus – Wie schütze ich mich als Politikerin?